Wiederholt sich Geschichte - Eine reflexive Beschäftigung mit dem Essay von Arnold J. Toynbee
Im vorliegenden Essay von Arnold J. Toynbee wird die übergeordnete geschichtsphilosophische Frage erörtert, bis zu welchem Grad Geschichte einen revolvierenden Charakter besitzt. Die Analyse, ob es sich hierbei primär um obligatorische (Geschichte muss sich wiederholen) oder fakultative (Geschichte kann sich wiederholen) Muster handelt eröffnet notwendigerweise ein assoziiertes Diskussionsfeld - Verläuft die Geschichte progressiv, d.h. findet eine zielstrebige Genese zum Besseren statt oder dominieren auf umgekehrte Weise rezessive Verläufe. Kann die Menschheit aus der Geschichte lernen und daraus Tendenzen, Schlüsse oder gar Handlungsanleitungen extrahieren, oder wird uns auf Grund der Komplexität des Ganzen nur die Möglichkeit der Einsicht offeriert, dass es diffizil bzw. unmöglich ist aus der Geschichte zu lernen.
Zu diesen Problemstellungen finden sich in der Geschichtsphilosophie mannigfaltige Denkstile und Schulen, welche in Abhängigkeit ihres sozialen, politischen und kulturellen Umfelds verschiedene Standpunkte argumentativ ins Feld führen. Wesentliche griechische Denker, wie Plato und sein Schüler Aristoteles taxierten den Mehr- und Lernwert der Geschichte als kläglich, da in deren Auffassung die Geschichte ein strukturloses Gemisch von Zufälligkeiten kennzeichnet.
Die großen Weltreligionen erfassten das Thema mehrheitlich, indem Geschichte im Wechselspiel zwischen göttlicher Verheißung und Erfüllung bzw. menschlicher Befolgung erklärt wird. Geschichte wird dabei der menschlichen Vernunft zunehmend entzogen und die Handlungsfreiheit abgesprochen. Geschichte als Fatum nimmt vor allem in christlichen, jüdischen und islamischen (Kismet) Religionsphilosophien eine zentrale Stellung ein. Betrachtet man die Geschichtsauffassung der „jüngeren“ Vergangenheit und greift dabei die Epoche der „Aufklärung“ auf, so ist in jener Zeit ein Paradigmenwechsel wahrnehmbar. Den Leitgedanken der Aufklärung: Den Mut aufzubringen sich seinen eigenen Verstand dienstbar zu machen und aus der Unmündigkeit herauszutreten hatte gravierende Auswirkungen auf das geschichtsphilosophische Verständnis. Das Leben und die Geschichte wurde nicht mehr ausschließlich als „eindeutig vordeterminiert“, im Sinne einer leitenden unsichtbaren (göttlichen) Hand gesehen - sondern der Mensch wurde für sein Tun verantwortlich gemacht und ermächtigt aus seinem vergangenen Handeln Schlüsse zu ziehen. Hinsichtlich der „Progressivität“ oder „Rezessivität“ schreibt Nietzsche der Geschichte wiederkehrenden Charakter zu, jedoch spricht er der fortschreitenden Zeit eine inhärent positive Eigenschaft ab.
Eingehend befasste sich auch Hegel mit Geschichtsphilosophie, wobei nach seinen Geboten die einzige Konstante der Geschichte deren Wandel und Veränderung darstellt. Obgleich der stetige Umbruch, häufig mit dem Untergang blühender und mächtiger Kulturen synchronisiert ist, so bringt die Geschichte, wie Phönix aus der Asche, neue tragfähige Hochkulturen hervor.
Nach meiner Auffassung stellt der konjunkturelle Standpunkt der Geschichte, welcher aus wechselwirkenden progressiven und rezessiven Abschnitten besteht, ein substanziiertes Erklärungsmodell dar. Geschichte wiederholt sich nicht vollständig und jede Situation ist auf Grund ihrer nahezu unendlichen Konstellationsvielfalt einmalig. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass sich Analogien herauslösen lassen. Hierzu passend das bekannte Gleichnis von Heraklit, welches besagt, dass man nicht zweimal in denselben Fluss steigen kann. Das Wasser strömt nach, es nimmt in Abhängigkeit der umgebenden Parameter und der Rahmenbedingungen divergente Zustände und Eigenschaften an. Die (empirische) Erfahrung lehrt und unterstützt zwar bei der Orientierung und die Geschichte ermöglicht und katalysiert die Meinungs- und Entscheidungsfindung - Trotzdem ist jede Situation durch ihre Einmaligkeit gekennzeichnet. Die Geschichte ermöglicht die Erinnerung über Generationen hinweg und schärft die Urteilskraft für gegenwärtige und zukünftige Ereignisse.
Obgleich sich bestimmte Muster auf den ersten Blick ähneln, so denke ich nicht, dass sich die Geschichte durch stringent lineare Grundzüge manifestiert. In diesem Aspekt stimme ich mit Karl Popper überein, der den Historizismus und dessen geschichtliche Zwangsläufigkeit ablehnt („Das Elend des Historizismus“). Die Geschichte unterliegt keinen Gesetzen taxativer Natur und deshalb ist es unmöglich den zukünftigen Entwicklungsverlauf dediziert zu bestimmen. Popper führte dabei die Unmöglichkeit der Voraussagen primär auf die Zunahme des menschlichen Wissens zurück - die (Weiter)Entwicklung steht somit per se im Widerspruch mit einer allfälligen Linearität der Geschichte.
Nicht alle Aspekte des Essays von Arnold J. Toynbee erlangen meine ungeteilte Zustimmung, jedoch herrscht Konformität in der zentralen Auffassung, dass es dem Menschen freigestellt ist und er prinzipiell dazu befähigt gilt sein Zukunft selbst zu gestalten.
Kultur-am-Scheideweg-Wiederholt-sich-Geschichte (pdf, 863 KB)
Zu diesen Problemstellungen finden sich in der Geschichtsphilosophie mannigfaltige Denkstile und Schulen, welche in Abhängigkeit ihres sozialen, politischen und kulturellen Umfelds verschiedene Standpunkte argumentativ ins Feld führen. Wesentliche griechische Denker, wie Plato und sein Schüler Aristoteles taxierten den Mehr- und Lernwert der Geschichte als kläglich, da in deren Auffassung die Geschichte ein strukturloses Gemisch von Zufälligkeiten kennzeichnet.
Die großen Weltreligionen erfassten das Thema mehrheitlich, indem Geschichte im Wechselspiel zwischen göttlicher Verheißung und Erfüllung bzw. menschlicher Befolgung erklärt wird. Geschichte wird dabei der menschlichen Vernunft zunehmend entzogen und die Handlungsfreiheit abgesprochen. Geschichte als Fatum nimmt vor allem in christlichen, jüdischen und islamischen (Kismet) Religionsphilosophien eine zentrale Stellung ein. Betrachtet man die Geschichtsauffassung der „jüngeren“ Vergangenheit und greift dabei die Epoche der „Aufklärung“ auf, so ist in jener Zeit ein Paradigmenwechsel wahrnehmbar. Den Leitgedanken der Aufklärung: Den Mut aufzubringen sich seinen eigenen Verstand dienstbar zu machen und aus der Unmündigkeit herauszutreten hatte gravierende Auswirkungen auf das geschichtsphilosophische Verständnis. Das Leben und die Geschichte wurde nicht mehr ausschließlich als „eindeutig vordeterminiert“, im Sinne einer leitenden unsichtbaren (göttlichen) Hand gesehen - sondern der Mensch wurde für sein Tun verantwortlich gemacht und ermächtigt aus seinem vergangenen Handeln Schlüsse zu ziehen. Hinsichtlich der „Progressivität“ oder „Rezessivität“ schreibt Nietzsche der Geschichte wiederkehrenden Charakter zu, jedoch spricht er der fortschreitenden Zeit eine inhärent positive Eigenschaft ab.
Eingehend befasste sich auch Hegel mit Geschichtsphilosophie, wobei nach seinen Geboten die einzige Konstante der Geschichte deren Wandel und Veränderung darstellt. Obgleich der stetige Umbruch, häufig mit dem Untergang blühender und mächtiger Kulturen synchronisiert ist, so bringt die Geschichte, wie Phönix aus der Asche, neue tragfähige Hochkulturen hervor.
Nach meiner Auffassung stellt der konjunkturelle Standpunkt der Geschichte, welcher aus wechselwirkenden progressiven und rezessiven Abschnitten besteht, ein substanziiertes Erklärungsmodell dar. Geschichte wiederholt sich nicht vollständig und jede Situation ist auf Grund ihrer nahezu unendlichen Konstellationsvielfalt einmalig. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass sich Analogien herauslösen lassen. Hierzu passend das bekannte Gleichnis von Heraklit, welches besagt, dass man nicht zweimal in denselben Fluss steigen kann. Das Wasser strömt nach, es nimmt in Abhängigkeit der umgebenden Parameter und der Rahmenbedingungen divergente Zustände und Eigenschaften an. Die (empirische) Erfahrung lehrt und unterstützt zwar bei der Orientierung und die Geschichte ermöglicht und katalysiert die Meinungs- und Entscheidungsfindung - Trotzdem ist jede Situation durch ihre Einmaligkeit gekennzeichnet. Die Geschichte ermöglicht die Erinnerung über Generationen hinweg und schärft die Urteilskraft für gegenwärtige und zukünftige Ereignisse.
Obgleich sich bestimmte Muster auf den ersten Blick ähneln, so denke ich nicht, dass sich die Geschichte durch stringent lineare Grundzüge manifestiert. In diesem Aspekt stimme ich mit Karl Popper überein, der den Historizismus und dessen geschichtliche Zwangsläufigkeit ablehnt („Das Elend des Historizismus“). Die Geschichte unterliegt keinen Gesetzen taxativer Natur und deshalb ist es unmöglich den zukünftigen Entwicklungsverlauf dediziert zu bestimmen. Popper führte dabei die Unmöglichkeit der Voraussagen primär auf die Zunahme des menschlichen Wissens zurück - die (Weiter)Entwicklung steht somit per se im Widerspruch mit einer allfälligen Linearität der Geschichte.
Nicht alle Aspekte des Essays von Arnold J. Toynbee erlangen meine ungeteilte Zustimmung, jedoch herrscht Konformität in der zentralen Auffassung, dass es dem Menschen freigestellt ist und er prinzipiell dazu befähigt gilt sein Zukunft selbst zu gestalten.
Kultur-am-Scheideweg-Wiederholt-sich-Geschichte (pdf, 863 KB)
Andreas Hager - 17. Okt, 13:20
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